Der Streit um Handelsströme und der Protektionismus sind nicht die einzigen Gefahrenherde für globale Wertschöpfungsketten – Frachthafen in Singapur. (Bild: Edgar Su / Reuters)

Der Streit um Handelsströme und der Protektionismus sind nicht die einzigen Gefahrenherde für globale Wertschöpfungsketten – Frachthafen in Singapur. (Bild: Edgar Su / Reuters)

Die Weltbank warnt: Weniger Handel heisst mehr Armut

Die Armutsbekämpfung ist in jenen Ländern besonders erfolgreich, wo es gelingt, die Wirtschaft in globale Wertschöpfungsketten zu integrieren. Doch Protektionismus und Handelskonflikte gefährden diesen Fortschritt.

Thomas Fuster
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Der globale Handel hat das Wirtschaftswachstum nach 1990 stark angetrieben. Dabei wuchsen die armen Länder meist rascher als die wohlhabenden. Bei der Armutsbekämpfung konnten entsprechend grosse Fortschritte erzielt werden: Lebten zu Beginn der neunziger Jahre noch 36% der Weltbevölkerung in extremer Armut (weniger als $ 1.90 pro Tag), sank die Quote bis 2015 auf rekordtiefe 10%. Am stärksten ging die Armut dabei in jenen Ländern zurück, denen es gelang, sich in globale Wertschöpfungsketten zu integrieren; bekannte Beispiele sind China, Vietnam und Bangladesh.

Über 30 Millionen Menschen in Gefahr

Weil globale Wertschöpfungsketten als wirksames Instrument zur Armutsbekämpfung gelten, hat die Weltbank ihren jüngsten World Development Report diesem Thema gewidmet. Massgeblich daran beteiligt war Aaditya Mattoo als Co-Direktor des Projekts. Auf Einladung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) hat Mattoo in Bern die wichtigsten Resultate der aufwendigen Analyse präsentiert. Er zeigt, wie seit der 2008 ausgebrochenen Finanzkrise nicht nur der weltweite Handel an Dynamik eingebüsst hat; auch die Verbreitung der globalen Wertschöpfungsketten hat sich verlangsamt.

Damit die Ketten nicht zerreissen, braucht es Offenheit und Vorhersehbarkeit. Beides scheint aufgrund der Handelsstreitigkeiten derzeit bedroht. Welche Kosten daraus entstehen, ist naturgemäss schwer abschätzbar. Sollte der sino-amerikanische Streit sich aber verschärfen und das Vertrauen der Investoren stark belasten, rechnet die Weltbank mit einem Einbruch des weltweiten Einkommens um bis zu 1,4 Bio. $. Zudem könnten laut diesem Szenario über 30 Mio. Menschen zurückgedrängt werden in die Armut, definiert als Einkommen von weniger als $ 5.50 pro Tag.

Der Streit um Handelsströme und der Protektionismus sind aber nicht die einzigen Gefahrenherde für globale Wertschöpfungsketten, die bereits für über die Hälfte des Handels ver­antwortlich sind. Für Verunsicherung sorgt auch der Einsatz arbeitssparender Technologien; Beispiele sind die Automatisierung oder die Digitalisierung von Produktionsprozessen sowie die Verwendung von 3-D-Druck­ern. In Entwicklungsländern ist die Furcht gross, dass aufgrund solcher Innovationen die Produktion näher zum Konsumenten in den Industrieländern rückt und die Nachfrage nach Arbeit zurückgeht.

Übertriebene Furcht vor Automatisierung

Mattoo will diese Gefahr nicht verharmlosen. Er relativiert aber die Bedrohung für die Entwicklungsländer. Die verfügbaren Daten zeigten, dass sich technologische Neuerungen positiv auf den Han­del auswirkten. Dank Innovationen entstünden neue Produkte. In der Tat entfielen 2017 rund zwei Drittel des Handels auf Güter und Dienstleistungen, die 1992 noch gar nicht existiert hat­ten. Die empirische Evidenz für ein Reshoring, also für eine Rückverlagerung der Produktion an jenen Ort, von dem sie ursprünglich ins Ausland verlagert worden war, sei gering.

Laut Mattoo dominieren bei Automatisierungen die positiven Auswirkungen – auch für Entwicklungsländer. So sorgen die technisch­en Neuerungen dafür, dass dank höherer Produktivität mehr produziert wer­den kann. Die Vermutung wird bestätigt durch die Beobachtung, dass die in Industrieländern forcierte Automatisierung der Automobilindustrie zu einer Zunahme der Ein­fuhr von Automobilbauteilen aus Entwicklungsländern geführt hat. Dasselbe Muster gilt für andere Sektoren mit hoher Automatisierung, etwa die Gummi- und Kunststoffindustrie.

Dennoch, von der globalen Verflechtung der Produktion profitieren nicht alle, es gibt Gewinner und Verlierer. Die Weltbank warnt aber davor, zum Schutz der Beschäftigten auf eine restriktive Handelspolitik zu setzen. In Brasilien und Südafrika zum Beispiel sei es nicht gelungen, mit einer solchen Strategie eine wettbewerbsfähige Autoindustrie aufzubauen. Demgegenüber hätten Länder wie Thailand und Mexiko davon profitiert, dass sie sich in Wertschöpfungsketten hätten einbinden können. Damit dies funktioniert, sind aber auch die Industrieländer gefordert, und zwar mit einer offenen und berechenbaren Politik.