«Die Wahrheit hat ein fröhliches Gesicht», sagt Huldrych Zwingli (Max Simonischek). Aber davon lassen sich nicht alle so leicht überzeugen. (Bild: PD)

«Die Wahrheit hat ein fröhliches Gesicht», sagt Huldrych Zwingli (Max Simonischek). Aber davon lassen sich nicht alle so leicht überzeugen. (Bild: PD)

«Zwingli» zeigt fast alles, was man von Zwingli weiss. Doch der Reformator selber bleibt eine Leerstelle

Der Film zum Jubiläum: Stefan Haupts «Zwingli» ist eine solide Dokumentation zur Zürcher Reformation. Leider nicht mehr.

Thomas Ribi
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Natürlich darf er ihn sagen, seinen Satz. Den Satz, den alle kennen, auch wenn sie von Zwingli sonst keine Ahnung haben. Es sind ja auch Worte, die klingen wie klares Quellwasser: «Tut um Gottes willen etwas Tapferes.» Und Zwingli (Max Simonischek) sagt sie so, dass man spürt: Er ist sich ihrer Tragweite bewusst. Schliesslich ist man nicht in irgendeinem Film. «Zwingli» unter der Regie von Stefan Haupt ist der Film zum Reformationsjubiläum, da geht es um historisches Gedenken. Und um einen Krieg. Gegen die katholischen Innerschweizer.

Die Sache der Reformation steht auf der Kippe. Man schreibt das Jahr 1531, es ist Anfang Oktober, wenige Tage später wird Zwingli fallen. Zusammen mit über vierhundert anderen jungen Zürchern, die vom Rat in aller Eile rekrutiert worden waren – zu einer schlecht vorbereiteten, mangelhaft ausgerüsteten Armee, die keine Chance hat gegen die Übermacht, der sie sich in Kappel gegenübersieht.

Zwinglis Ende ist elend. Auf dem Schlachtfeld wurde er gevierteilt und verbrannt. Ein Grab erhielt er nicht, Ketzer hatten nichts anderes zu erwarten. In Luzern zeigte man später einen durchlöcherten Helm und ein Schwert als Sinnbild des Siegs über die Reformierten. Zwinglis Helm? Seine eigene Waffe? Kaum, obwohl man sie seit dem 19. Jahrhundert in Zürich als Memorabilien präsentierte. Aber das spielte keine Rolle. Es ging um Symbole, und wer will da schon pingelig sein.

Nicht einmal ein Bild

Kein Grab und zweifelhafte Reliquien. Vom Menschen Huldrych Zwingli haben sich so gut wie keine Spuren erhalten. Nicht einmal ein Bild gibt es, das zu Lebzeiten entstanden wäre – von dem Mann, der Zürich geprägt hat wie kein Zweiter. Natürlich weiss man einiges über ihn. Die Stationen seines Lebens sind bekannt, seine Schriften sind erhalten. Und man spricht zurecht von der Zwinglischen Reformation, ein Begriff, gegen den sich Zwingli selber entschieden verwahrt hätte. Er war Kopf und Herz der Bewegung, auch wenn die Zürcher Reformation «von unten» getragen war – vom Rat, von gewählten Volksvertretern und letztlich von der Bevölkerung.

Der Reformator vor dem Aufbruch nach Kappel – wo er unter den Streichen der katholischen Orte fallen wird. (Bild: PD)

Der Reformator vor dem Aufbruch nach Kappel – wo er unter den Streichen der katholischen Orte fallen wird. (Bild: PD)

Nur, als Mensch wird Zwingli hinter den historischen Ereignissen kaum fassbar. Er geht auf in seinem Werk – oder verschwindet in ihm, wie man will. Anders als Luther, dessen Persönlichkeit noch fast in jeder Zeile, die er schrieb, bebend spürbar wird, nahm Zwingli sich persönlich zurück. Von sich selber sprach er ungern. Eigentlich tat er es nur, wenn er dazu gezwungen wurde.

Da geht nichts schief

Schlechte Voraussetzungen also, um Zwingli zum Filmhelden zu machen? Nicht unbedingt – wenn man den Mut hätte, sich der Person auf dem einzigen Weg zu nähern, der uns heute offensteht: der Vorstellungskraft. Wenn man sich die Freiheit nähme, den Reformator aus der Imagination neu zu schaffen. Diesen Mut hat der Regisseur Stefan Haupt nicht. Oder nur halb. In «Zwingli» spürt man jedenfalls wenig davon.

Das ist vielleicht auch verständlich. Mit einem Budget von rund sechs Millionen Franken ist «Zwingli» für Schweizer Verhältnisse eine Grossproduktion. Seit über einem Jahr wird der Film als Ereignis des Reformationsjubiläums angepriesen, die reformierte Kirche, der Kanton Zürich, unzählige Stiftungen und Private haben ihn mitfinanziert, parallel zum Kinoverleih ist das Filmmaterial in eine didaktische Verwertungskette mit Unterrichtshilfen und Lernangeboten für Schulen eingebunden. Das gibt dem Unternehmen fast den Anstrich eines offiziellen Statements. Und da darf nichts schiefgehen.

Es geht auch nichts schief. Stefan Haupt und die Drehbuchautorin Simone Schmid verstehen ihr Metier. Sie weichen jedem Wagnis gekonnt aus und bieten, was man von einem Biopic erwartet, das auf ein historisches Jubiläum hin gedreht wurde: solide Information, ansprechend verpackt. Wer «Zwingli» anschaut, wird mit dem Ablauf der Zürcher Reformation vertraut gemacht. Und wundert sich vielleicht ein wenig, dass er sich nicht langweilt. Das Drehbuch spult die Ereignisse so linear ab wie eine Zeittafel, die mit Zwinglis Amtsantritt am Grossmünster am 1. Januar 1519 beginnt und mit seinem Tod am 11. Oktober 1531 endet.

Kleine Freiheiten

Alles über Zwingli also. Fast alles jedenfalls. Soweit es sich in Daten und Fakten festmachen lässt, wird kaum etwas ausgelassen. Wir sehen den tapferen Priester predigen, bekommen seine Kämpfe mit den konservativen Chorherren mit, erleben ihn als Ehemann, zärtlichen Vater und Freund von Bürgermeister Röist. Wir müssen zusehen, wie die Zürcher Felix Manz, den Täufer und früheren Gefährten Zwinglis (Michael Finger), in der Limmat ertränken und wie der reformatorisch gesinnte Pfarrer Jakob Kaiser (Mathis Künzler) auf Geheiss der Schwyzer bei lebendigem Leib verbrannt wird.

Anna Reinhart (Sarah Sophia Meyer) lässt für das Seelenheil ihres verstorbenen Ehemanns beten – später heiratet sie Huldrych Zwingli. (Bild: PD)

Anna Reinhart (Sarah Sophia Meyer) lässt für das Seelenheil ihres verstorbenen Ehemanns beten – später heiratet sie Huldrych Zwingli. (Bild: PD)

Natürlich, man hat sich auch Freiheiten genommen, wenigstens kleine. Das Gerücht über Zwinglis Affäre mit einem jungen Mädchen in Einsiedeln beispielsweise wird aus dramaturgischen Gründen um ein paar Jahre nachverlegt. Und Katharina von Zimmern, die letzte Äbtissin des Fraumünsterklosters (Rachel Braunschweig), wird fast zur offenen Sympathisantin der Reformation stilisiert, während der Bischof von Konstanz auf so belämmerte und zugleich so edle Art dekadent sein darf, wie nur Ueli Jäggi das zustande bringt.

Da blitzt immer wieder ein verspielter Charme auf, von dem man sich mehr gewünscht hätte. Aber leider beschränkt er sich auf Details und Nebenfiguren. Die Hauptfiguren bleiben blass, weil man ihnen nicht erlaubte, sich aus dem Korsett dessen zu befreien, was irgendwie als historisch verbürgt gelten kann. Das ist schade, denn Max Simonischek, Anatole Taubman als Zwinglis Vertrauter Leo Jud und Sarah Sophia Meyer als Anna Reinhart sind wunderbare Schauspieler, in denen sich der Kampf um die Reformation als persönliches Drama hätte spiegeln können. Man hätte vielleicht weniger über Zwingli gelernt. Aber mehr über ihn erfahren.

★★★☆☆ Vom 10. bis zum 16. Januar im Lunchkino im Arthouse Le Paris in Zürich. Offizieller Kinostart am 17. Januar.